Security

Kulturwandel im Sicherheitsmanagement: Gespräch mit Dr. Franz Eckl

06.02.2019 - Thyssenkrupp Gerlach stellt im saarländischen Homburg mit 750 Mitarbeitern jedes Jahr mehr als sechs Millionen geschmiedete Kurbelwellen für die internationale Automobilindustrie h...

Thyssenkrupp Gerlach stellt im saarländischen Homburg mit 750 Mitarbeitern jedes Jahr mehr als sechs Millionen geschmiedete Kurbelwellen für die internationale Automobilindustrie her. Zusammen mit den internationalen Schmiedestandorten von Thyssenkrupp ist die Gesenkschmiede im Saarland eines der weltweit führenden Unternehmen in diesem Bereich. GIT SICHERHEIT sprach mit COO Dr. Franz Eckl über das Sicherheitsmanagement und die Sicherheitskultur im Betrieb.

GIT SICHERHEIT: Was unterscheidet die Sicherheitsarchitektur Ihres Hauses von normalen Werkschutztätigkeiten? Gibt es in Ihrem Unternehmen besondere Risiken und Sicherungsschwerpunkte und eine eigene Sicherheitsphilosophie?

Franz Eckl: Das Werk in Homburg feierte 2017 sein 70-jähriges Bestehen. Trotz dieser Tradition sind wir ein moderner und hochproduktiver Schmiedebetrieb. Besonders bei uns ist, dass wir buchstäblich viel bewegen: Die Gewichte der Produkte und der Werkzeuge sind hoch, ebenso die Umformkräfte und die Temperatur­en bei der Umformung. Ein starker Fokus auf Arbeitssicherheit ist daher besonders wichtig.

Dr. Eckl, Sie leiten seit fast elf Jahren das Werk von Thyssenkrupp Gerlach. Wie hat sich das Sicherheitsmanagement in Ihrer Zeit dort verändert?

Franz Eckl: Wir sind schon immer bemüht gewesen, die Risiken des Arbeitsumfelds im Werk auf die Arbeitssicherheit zu minimieren und konnten die Unfallhäufigkeit auch stetig verringern. Allerdings war bei den Führungskräften und Mitarbeitern bis vor etwa acht Jahren kein Bewusstsein dafür vorhanden, dass Arbeitsunfälle tatsächlich vollständig verhindert werden können. Die Einstellung, die man vor 2011 häufig zu hören bekam, war: ‚Bei manchen Arbeitsunfällen kann man nichts tun, die sind verhaltensbedingt’. Die Erwartung der Mitarbeiter war, dass das Unternehmen oder die Vorgesetzten Sicherheitsprobleme lösen. Die Vorgesetzten wiederum waren überwiegend der Meinung, dass nur die Abteilung Arbeitssicherheit für die Sicherheit verantwortlich sei. Dabei wurden über 75 % aller Arbeitsunfälle durch den Verunfallten selbst verursacht. Im Jahr 2010 hatten wir 20 Arbeitsunfälle pro Million geleisteter Arbeitsstunden. Das war uns zu hoch. Zudem waren darunter auch einige schwere Unfälle mit Langzeitfolgen. Unsere Lösungsansätze waren vor 2010 rein technisch und organisatorisch orientiert. Sorgen bereiteten uns vor allem die Arbeitsunfälle, bei denen man eine Wiederholung nicht auf technische oder organisatorische Weise verhindern konnte. Wenn Mitarbeiter z.B. vor Gabelstapler liefen oder trotz Schutzgitter Wege fanden in Gefahrenbereiche zu greifen, gab es keine routinemäßigen, konkreten Maßnahmen. Uns wurde klar, dass wir unsere Kultur, unser Verhalten verändern mussten.

Was hat Ihr Unternehmen unternommen, um diese Veränderung in der Sicherheitskultur zu erreichen?

Franz Eckl: Bei der strukturierten Umsetzung unseres Vorhabens, haben wir auf Expertise von außen zurückgegriffen. Einfach weil wir Anregungen und neue Ideen von außen benötigten. Wir haben DuPont Sustainable Solutions im Februar 2011 mit einer Bestandsaufnahme des bestehenden Sicherheitsmanagementsystems beauftragt. Darauf aufbauend wurden dann Fokusbereiche und strategische Ziele identifiziert. DuPont schlug vor, mit einigen sogenannten „Quick Wins“ zu beginnen – also mit Maßnahmen, die schnell einen Erfolg bringen. Die Bedeutung der „Quick Wins“ ist uns schnell klar geworden. Der Lenkungsausschuss stellte zum Beispiel eine Liste von Arbeitssicherheitsregeln für Führungskräfte auf und ließ diese Verpflichtung von allen Führungskräften unterschreiben. Dieses ‚Bekenntnis’ wurde veröffentlicht und ausgehängt. Damit haben wir ein klares Zeichen gesetzt, denn das Engagement des Managements ist der erste Schritt, um eine nachhaltige Verbesserung der Arbeitssicherheit zu erzielen. Seither verstehen wir Sicherheitsmanagement als ein Puzzle, bei dem sich alle Elemente gegenseitig bedingen. Jede zu treffende Maßnahme hat Einfluss auf unterschiedlichste Elemente, je nach Ausprägung und Umsetzung. Kein Element kann isoliert betrachtet werden. Ein nachhaltiges Ergebnis kann nur durch die Einbeziehung aller Mitarbeiter und der stetigen Arbeit an den Elementen erreicht werden. Das Verständnis des Zusammenspiels der verschiedenen Elemente des Sicherheitsmanagements war extrem hilfreich für die gesamtheitliche Betrachtung der Aufgabenstellung, die vor uns lag. Heute helfen uns diese Elemente auch bei vielen operativen Aufgabenschwerpunkten wie z.B. Qualität, Instandhaltung, Kosten. Gelingt es einem Unternehmen diese Elemente zu verinnerlichen und zu leben, so verbessert dieses nicht nur die Arbeitssicherheit, sondern steigert auch die Wettbewerbsfähigkeit. Eine gute und richtig gelebte Arbeitssicherheitskultur unterstützt die wesentlichen Erfolgsfaktoren von Produktionsunternehmen. So gelang es uns zum Beispiel, die Produktivität des Standortes nachhaltig um fast 30 % zu steigern.

Wie hat sich die Sicherheitsorganisation aufgestellt, um die verschiedenen Elemente des Sicherheitsmanagements umsetzen zu können?

Franz Eckl: Um die Bestandteile der neuen Sicherheitskultur konstant zu berücksichtigen, wurde ein Lenkungsausschuss gegründet, der monatlich und bei Bedarf tagt. Zu dem Lenkungsausschuss gehören die Mitglieder der Geschäftsführung, die Leiter aller Unternehmensbereiche, ein Produktions-Linienleiter, der Betriebsratsvorsitzende, die Sicherheitsfachkraft und der Projektleiter des Arbeitssicherheitsprojektes. Dieser Ausschuss entwickelt Konzepte zusammen mit den Unterausschüssen, die für verschiedene Bereiche verantwortlich sind, wie Schulung & Weiterbildung, Vorfalluntersuchung, Audits & Sicherheitsgespräche, Fremdfirmenmanagement, Motivation & Kommunikation usw. Für die Umsetzung sind die Organisationseinheiten, also die Linienorganisation, zuständig.

Wie kommuniziert die Unternehmensleitung Erwartungen in Bezug auf Sicherheitsleistungen an die Mitarbeiter?

Franz Eckl: Dass die Unternehmensführung von Thyssenkrupp zu der neuen Sicherheitskultur steht, wird im Betrieb deutlich kommuniziert; so z.B. auf jeder Belegschaftsversammlung, aber auch in jeder Aufsichtsratssitzung, und natürlich starten wir jeden Regeltermin mit einem Sicherheitskontakt, zudem durch Aushänge, Filme zum Thema Arbeitssicherheit für alle Mitarbeiter, eine Broschüre, welche die 10 Sicherheits-Grundsätze aufführt, aber vor allem durch regelmäßige Sicherheitsgespräche vor Ort. Mittlerweile führen bei Thyssenkrupp jeden Monat rund 65 Führungskräfte ein Sicherheitsgespräch mit Mitarbeitern durch. Ziel ist es Gefahren zu erkennen und zu beseitigen, das Sicherheitsbewusstsein zu steigern, Sicherheitsstandards anzuheben, Mitarbeiter zu motivieren, Wertschätzung und Engagement zu demonstrieren, die Wirksamkeit von Schulungen zu ermitteln und die eigene Effektivität immer wieder neu zu überprüfen. Arbeitssicherheit ist Tagesgeschäft. Bei besonderen Erfolgen gibt es auch besondere Auszeichnungen, die nicht nur Anerkennung sind sondern auch dazu beitragen das Thema Arbeitssicherheit bei allen Mitarbeitern ständig im Fokus zu halten.

Wie soll man sich Ihre Sicherheitskultur heute vorstellen?

Franz Eckl: Führungskräfte und Mitarbeiter verhalten sich anders. Für die Mitarbeiter hat sich in den letzten acht Jahren vieles geändert. Früher dachte die Mehrzahl die Stückzahl geht vor. Heute wissen unsere Mitarbeiter an den Pressenlinien, dass Arbeitssicherheit und Gesundheit an oberster Stelle stehen. Sie wissen auch, dass Arbeitssicherheit ständige Aufmerksamkeit fordert. Da muss der Vorgesetzte Vorbild sein, sonst wird das Thema unglaubwürdig. Kulturwandel bedeutet viel Arbeit und braucht Zeit. Es geht nicht mit einem Fingerschnippen. Wenn wir jetzt ein Jahr nichts machen würden, dann würde vermutlich vieles wieder verschwinden. Auch unsere Glaubwürdigkeit würde leiden. Das ist der Unterschied zu früher: Heute gehen wir den eingeschlagenen Weg weiter. Es muss allen Mitarbeitern klar sein, dass es sich um eine allgemeine, anhaltende Entwicklung des Unternehmens handelt. Gestartet sind wir 2011 mit DuPont und der Vision 0 Arbeitsunfälle. Für die Zukunft ist das keine Vision, sondern unser Ziel.

Welche Elemente des Sicherheitsmanagements halten Sie für besonders wichtig?

Franz Eckl: Für uns waren die Erfolgsfaktoren ein deutliches Engagement der Geschäftsführung, die klare Definition der Regeln und auch eine gute Kommunikation von Zielen und Erwartungen. Wir fordern die Einhaltung der Regeln durch ein Eskalationsmodell ein und führen ebenfalls regelmäßige Sicherheitsgespräche mit einem aktuellen Thema des Monats.

Was haben Sie durch den Wandel in der Sicherheitskultur im Unternehmen erreicht:

Franz Eckl: Seit 2010 haben wir einen Rückgang der meldepflichtigen Arbeitsunfälle von 92 % verzeichnet und konnten auch die Unfallhäufigkeit um 90 % reduzieren. Im gleichen Zeitraum haben wir ebenfalls einen nachhaltigen Produktivitätszuwachs von 30 % registriert. Auch andere wesentliche operative Kennzahlen wie Qualität, Lieferperformance und Kosten haben sich verbessert.

Welche technischen Einrichtungen halten Sie für unabdingbar beim Schutz von Menschen und Sachwerten?

Franz Eckl: Es sind nicht die technischen Einrichtungen, die unabdingbar für den Schutz der Menschen sind. Entscheidend sind der gesunde Menschenverstand sowie harte Arbeit und Selbstdisziplin in Verbindung mit einer offenen und ehrlichen Kommunikation.

Wie schätzen Sie die aktuelle Sicherheitslage für den Industriestandort Deutschland ein?

Franz Eckl: Die Arbeitssicherheit stand in den letzten paar Jahren in Deutschland verstärkt im Fokus. Das war gut so! Nur darf jetzt das Thema nicht wieder aus dem Fokus geraten und das ist nicht einfach.

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