Brandschutz

„Kosten sollten nicht an erster Stelle stehen“ - Ein Kommentar von Glyn Coates

09.05.2019 - Nach dem verheerenden Brand 2017 im Londoner Wohnhochhaus Grenfell Tower stellte sich heraus, dass die anschwellenden Hohlraumverschlüsse als Teil der Außenfassade verkehrt herum a...

Nach dem verheerenden Brand 2017 im Londoner Wohnhochhaus Grenfell Tower stellte sich heraus, dass die anschwellenden Hohlraumverschlüsse als Teil der Außenfassade verkehrt herum angebracht worden waren. Das hatte zur Folge, dass die Brandschutzbarriere nicht ordnungsgemäß auf das Feuer reagieren konnte, um den Hohlraum zu schließen und zu verhindern, dass sich das Feuer im gesamten Gebäude nach oben ausbreitet. Wie konnte dies geschehen, obwohl das eigentlich doch qualifizierte Brandschutz- oder Fassadenverkleidungsunternehmen seine Arbeit kompetent ausführt hat? Und wessen Aufgabe war es, die Arbeit der Subunternehmer zu überprüfen?

Es scheint ein eklatantes Problem in der Baubranche zu geben: Es fehlt eindeutig eine hinlängliche Kontrolle darüber, was eingebaut wird und auf welche Weise. Früher gab es im Vereinigten Königreich zur Beaufsichtigung von Bauvorhaben einen Bauleiter, aber diese Funktion ist offenbar nahezu ausgestorben – wieder einmal aufgrund der Kostensenkung. Liegt die Verantwortung nun also beim Projektleiter, Subunternehmer oder beim Hauptauftragnehmer? Die Wahrheit ist, dass niemand die Antwort kennt – und das ist das Problem. Haftungsumgehung, Kostensenkung und reiner Organisationsmangel in der Weisungskette zwischen Spezifikation, Montage und Wartung sind für mich die größten Herausforderungen und die größten Probleme unserer Branche. Die zu ignorieren, ist tödlich.

Unzureichende Normen
Insbesondere scheint es an Verständnis für den Brandschutz zu mangeln und dafür, was nötig ist, um selbst die absoluten Mindeststandards zu erfüllen. Ob die notwendige Leistung 60 Minuten, 120 Minuten oder noch höher beträgt – es gibt kaum Verständnis für die Unterschiede zwischen Reaktion auf und Widerstand gegen Feuer und die Nuancen dazwischen. Die Angabe einer Euroklasse A.1 bedeutet beispielsweise nicht, dass eine 60-minütige Leistung erreicht wird. Es muss mehr Aufklärung hinsichtlich Reaktion und Widerstand geben und wie beides in der frühen Entwurfsphase berücksichtigt werden muss.

Nehmen wir das Beispiel Isolierung: Hier legte man sowohl seitens der Baubranche als auch der Regierung einen großen Schwerpunkt auf die CO2-Reduktion und die thermischen Eigenschaften. Einsparungen wurden weitgehend durch die Hinzufügung von brennbaren Dämmstoffen zur Gebäudehülle insbesondere von Hochhäusern erreicht, ohne die Auswirkungen auf die Sicherheit im Brandfall zu berücksichtigen. Hier genießen Brandschutzaspekte nicht die nötige Priorität. Diese sollten als etwas ebenso Wesentliches wie das Fundament des Gebäudes oder die Hülle betrachtet und direkt in Erstentwürfe und Angebote integriert werden. Nachträgliche Überlegungen gegen Ende des Projekts als reine Pflichterfüllung kommen in der Regel zu spät. Menschenleben stehen auf dem Spiel und es ist unverständlich, weshalb der Brandschutz nicht ernst genug genommen wird.

Befragung der Branche und Veränderung
Letztendlich könnte man argumentieren, dass es zwei Bestandteile des Bauprogramms gibt, die sofortige Aufmerksamkeit erfordern:

  • Die Gesamtkonzeption, insbesondere die Gewährleistung, dass das mit „gleichwertig oder genehmigt“ gekennzeichnete Projekt die Leistungsanforderungen auf allen Ebenen und insbesondere in Bezug auf den Brandschutz erfüllt.
  • Die Notwendigkeit, das Bauprogramm zu überwachen und zu regulieren, um zu gewährleisten, dass auf jeden Fall die richtigen Produkte von den richtigen und qualifizierten Auftragnehmern korrekt installiert und anschließend ordnungsgemäß gewartet werden.


Es wirkt wie eine Mammutaufgabe, insbesondere für eine Branche, die bekanntlich langsam und resistent gegenüber Veränderungen ist. Doch die Situation muss verbessert werden – und wir müssen überlegen, wie wir mit ein paar einfachen Änderungen das Risiko so weit wie möglich reduzieren können. Vergessen wir dabei nicht, dass auch die Summe vieler Kleinigkeiten eine große Wirkung haben kann. In folgenden Bereichen ist eine stärkere Kontrolle nötig:

  • Materialien – dafür sorgen, dass sie eine übergeordnete Akkreditierung und ein Testsystem durchlaufen, um Kohärenz und Konformität aller Hersteller zu gewährleisten.
  • Kosten sollten nicht an erster Stelle stehen – das gilt für Materialersatz und Auftragnehmer. Diese Einstellung tötet Menschen.
  • Qualitätskontrolle – es muss beim Bauen über alle Berufszweige hinweg ein eindeutiges hierarchisches System geben, dem eine zentrale Funktion übergeordnet ist. Diese sorgt für die Überwachung der Produkte, der Installation und der Bauverfahren, damit eine korrekte Durchführung gewährleistet ist.
  • Rückverfolgbarkeit – alle Bauteile in vorgefertigten Systemen müssen gekennzeichnet und protokolliert werden, um sicherzustellen, dass Subunternehmer und Hersteller im schlimmsten Fall zur Verantwortung gezogen und eine Lösung des Problems erarbeiten können, damit es sich nicht wiederholt.
  • Flexibilität beim Entwurf – Architekten und Bauherren müssen ein besseres Verständnis für die Einschränkungen bestimmter Materialien und ihre Kosten entwickeln, damit sich die Wahrscheinlichkeit reduziert, etwas zu spezifizieren, das zu einem späteren Zeitpunkt wieder geändert werden muss.

Kontrolle der externen Aktivitäten
Diese kleineren Änderungen ließen sich von Beginn des Bauvorgangs an umsetzen und ich glaube, wir können einige wichtige Dinge von externen Herstellern lernen. Damit deren Produkte der Leistungsbeschreibung entsprechen, verwenden sie überwachte und geprüfte Komponenten. Durch die Einführung von Qualitätsprüfungen und Tests während der Komponentenmontage in der Fabrik ist die Entwicklung und Umsetzung von Zertifizierungen nach Branchenstandards zudem recht einfach – insbesondere, da alles an einem Ort verwaltet wird und weniger Lieferanten involviert sind. Und natürlich sind die bei der Montage präsenten Mitarbeiter qualifiziert. Sie verfügen über aktuelle Kenntnisse der Produkte und vor allem des Gebäudes als „System“, nicht nur zu einzelnen Komponenten, was meiner Meinung nach der Schlüssel zum Erfolg ist. Wir müssen auf die Entwicklung einer Komplettlösung mit Fertigung außerhalb des Standortes hinarbeiten. Zumindest aber müssen diejenigen, die traditionelle Bauweisen verwenden, von neuen Methoden lernen und nicht gegen sie arbeiten. An alten Methoden festzuhalten, kostet Menschenleben – sollen wir das akzeptieren, nur weil wir es schon immer so gemacht haben? Ich akzeptiere es jedenfalls nicht.

Überlegungen für ein erfolgreiches Bauen
Unabhängig davon, ob es sich bei der Bauweise um eine einfache Verkleidung oder um eine durchgehende Konstruktion, eine Innen- oder Außenfassade handelt: Am wichtigsten ist, dass die verwendeten Produkte zertifiziert sind und vollständig auf thermische, akustische, Brand-, Luftdichtheits- und Umweltkriterien geprüft wurden. Und zwar ordnungsgemäß von einem Dritten, nicht vom Hersteller selbst. Denn wer seine Hausaufgaben selbst benotet, macht es sich zu leicht!

Von der Vergangenheit lernen
Bereits 1996 veröffentlichte die Royal Academy of Engineering einen Artikel mit dem Titel „Where is the Henry Ford of Future Housing Systems?“ Eine Frage, die sich einige von uns in der Branche heute noch stellen. Obwohl sich der Markt nur langsam verändert, was zum Teil der Natur der Branche geschuldet ist, scheint es in puncto externe Fertigung in die richtige Richtung zu gehen. Eine Ausweitung dieses Denkens auf alle Bereiche der Baubranche ist möglich; es müssen allerdings Maßnahmen ergriffen werden, damit sich die Qualitätskontrolle der hergestellten Komponenten zügig weiterentwickelt, sodass Kunden und Planer sich keine Sorgen über das machen müssen, was sie einkaufen. Machen wir uns nichts vor, wir haben einen großen Nachholbedarf!

Wenn es ums Bauen geht, sollten nicht die niedrigsten Kosten im Vordergrund stehen. Natürlich ist Kosteneffizienz wichtig, es handelt sich schließlich um ein Geschäft, jedoch sollte sie keinen Vorrang vor der Gebäudesicherheit, Qualität oder Leistung haben. Forschung und Sorgfalt sind der Schlüssel zur Verbesserung der Branchenstandards, und die Weigerung, mit Auftragnehmern und Herstellern zusammenzuarbeiten, die schlechte Qualität liefern, ist ein einfacher Schritt auf dem Weg zum Wandel.

Wir wissen, was getan werden muss. Jetzt müssen wir den Wandel herbeiführen. Wenn wir uns durch modernere Methoden des Bauens und ähnliche Branchen inspirieren lassen, in denen es ebenfalls um Fertigung und Montage geht, können wir die gleichen hohen Standards und Arbeitsweisen übernehmen. So kann es uns gelingen, den Fokus von den Kosten auf die Qualität und Sicherheit zu verschieben.

Veränderungen sind schwierig, aber nichts tun ist keine Option. Kein Bauarbeiter will ein zweitklassiges Gebäude errichten – also gehen wir zurück auf Anfang und ändern wir im wahrsten Sinne des Wortes das Fundament unserer Arbeitsweise.

Quellen: https://interestingengineering.com/25-extremely-embarrassing-architectural-failures

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